Erweiterter Anwendungsbereich der Beweislastumkehr im Verbrauchsgüterkauf

Der BGH hat mit Urteil vom 12.10.2016, VIII ZR 103/15, den Anwendungsbereich der Beweislastumkehr gemäß § 476 BGB zugunsten des Verbrauchers erheblich erweitert. In dem Rechtsstreit ging es um den Kauf eines PKW, dessen Automatikschaltung nach knapp 5 Monaten seit Übergabe in der Einstellung „D“ nicht mehr selbständig in den Leerlauf schaltet, sondern abstarb. Laut Gutachten in den Vorinstanzen seien die aufgetretenen Symptome auf eine zwischenzeitlich eingetretene Schädigung des Freilaufs des hydrodynamischen Drehmomentwandlers zurückzuführen. Auch sei es grundsätzlich möglich, dass der Freilauf schon bei der Übergabe des Fahrzeugs mechanische Veränderungen aufgewiesen habe, die im weiteren Verlauf zu dem eingetretenen Schaden geführt haben könnten. Nachgewiesen sei dies jedoch nicht. Vielmehr komme als Ursache auch ein Bedienungsfehler nach Übergabe in Betracht. In diesem Fall könne sich der Käufer nicht auf die Beweislastumkehrregel berufen, so die Vorinstanzen.

Der BGH sah dies anders und stellte fest:

„Die mit Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 4. Juni 2015, C-497/13, erfolgte Auslegung des Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, der durch § 476 BGB in nationales Recht umgesetzt wurde, gebietet es, den Anwendungsbereich dieser Beweislastumkehrregelung zugunsten des Verbrauchers in zweifacher Hinsicht zu erweitern.

Dies betrifft zunächst die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Käufers hinsichtlich des – die Voraussetzung für das Einsetzen der Vermutungswirkung des § 476 BGB bildenden – Auftretens eines Sachmangels innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang. Anders als dies der bisherigen Senatsrechtsprechung zu § 476 BGB entspricht, muss der Käufer nach Auffassung des Gerichtshofs weder den Grund für die Vertragswidrigkeit noch den Umstand beweisen, dass sie dem Verkäufer zuzurechnen ist. Vielmehr hat er lediglich darzulegen und nachzuweisen, dass die erworbene Sache nicht den Qualitäts-, Leistungs- und Eignungsstandards einer Sache entspricht, die er zu erhalten nach dem Vertrag vernünftigerweise erwarten konnte. In richtlinienkonformer Auslegung des § 476 BGB lässt der Senat nunmehr die dort vorgesehene Vermutungswirkung bereits dann eingreifen, wenn dem Käufer der Nachweis gelingt, dass sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand (eine “Mangelerscheinung”) gezeigt hat, der – unterstellt er hätte seine Ursache in einem dem Verkäufer zuzurechnenden Umstand – dessen Haftung wegen Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit begründen würde. Dagegen muss der Käufer fortan weder darlegen und nachweisen, auf welche Ursache dieser Zustand zurückzuführen ist, noch dass diese in den Verantwortungsbereich des Verkäufers fällt.

Außerdem ist im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des § 476 BGB die Reichweite der dort geregelten Vermutung um eine sachliche Komponente zu erweitern. Danach kommt dem Verbraucher die Vermutungswirkung des § 476 BGB fortan auch dahin zugute, dass der binnen sechs Monate nach Gefahrübergang zu Tage getretene mangelhafte Zustand zumindest im Ansatz schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat. Damit wird der Käufer – anders als bisher von der Senatsrechtsprechung gefordert – des Nachweises enthoben, dass ein erwiesenermaßen erst nach Gefahrübergang eingetretener akuter Mangel seine Ursache in einem latenten Mangel hat.

Folge dieser geänderten Auslegung des § 476 BGB ist eine im größeren Maß als bisher angenommene Verschiebung der Beweislast vom Käufer auf den Verkäufer beim Verbrauchsgüterkauf. Der Verkäufer hat den Nachweis zu erbringen, dass die aufgrund eines binnen sechs Monaten nach Gefahrübergang eingetretenen mangelhaften Zustands eingreifende gesetzliche Vermutung, bereits zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs habe – zumindest ein in der Entstehung begriffener – Sachmangel vorgelegen, nicht zutrifft. Er hat also darzulegen und nachzuweisen, dass ein Sachmangel zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs noch nicht vorhanden war, weil sie ihren Ursprung in einem Handeln oder Unterlassen nach diesem Zeitpunkt hat und ihm damit nicht zuzurechnen ist. Gelingt ihm diese Beweisführung – also der volle Beweis des Gegenteils der vermuteten Tatsachen – nicht hinreichend, greift zu Gunsten des Käufers die Vermutung des § 476 BGB auch dann ein, wenn die Ursache für den mangelhaften Zustand oder der Zeitpunkt ihres Auftretens offengeblieben ist, also letztlich ungeklärt geblieben ist, ob überhaupt ein vom Verkäufer zu verantwortender Sachmangel vorlag. Daneben verbleibt dem Verkäufer die Möglichkeit, sich darauf zu berufen und nachzuweisen, dass das Eingreifen der Beweislastumkehr des § 476 BGB ausnahmsweise bereits deswegen ausgeschlossen sei, weil die Vermutung, dass bereits bei Gefahrübergang im Ansatz ein Mangel vorlag, mit der Art der Sache oder eines derartigen Mangels unvereinbar sei (§ 476 BGB am Ende). Auch kann der Käufer im Einzelfall gehalten sein, Vortrag zu seinem Umgang mit der Sache nach Gefahrübergang zu halten“.

Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 180/2016 vom 12.10.2016

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